Mit molekularen Fließbändern zu neuen Wirkstoffen

Mit molekularen Fließbändern zu neuen Wirkstoffen

Einem Team um den Marburger Max-Planck-Forscher Helge Bode ist es gelungen, ein natürliches Enzymsystem umzukonstruieren und es für die Produktion neuer Wirkstoffe zu nutzen.

Bakterien sind eine als Quelle molekularer „Fliessbänder“, die zur Produktion neuer Wirkstoffe genutzt und optimiert werden können.
Bakterien verfügen über Enzyme, die wie molekulare „Fließbänder“ arbeiten und eine große Vielfalt an Wirkstoffen erzeugen können.

Viele wichtige Medikamente, wie Antibiotika und Krebsmedikamente, stammen von Naturstoffen aus Bakterien ab. Bakterielle Enzymkomplexe, molekulare Maschinen in der Zelle, fertigen die Wirkstoffmoleküle nach dem Fließbandprinzip: Bauteile werden systematisch zu komplexen Produkten zusammengesetzt, wobei verschiedene Fertigungsstraßen unterschiedliche Produkte ergeben. So entsteht eine immense Vielfalt an Naturstoffen. In der Natur ist das eine Strategie, dank der sich die Bakterien in den unterschiedlichsten Lebensräumen behaupten.

Zu den bakteriellen Enzymen, die wie Fertigungsstraßen eine immense Vielfalt an Naturstoffen hervorbringen, zählen die Nicht-ribosomalen Peptid-Synthetasen (NRPS). Wir Menschen verdanken den riesigen Enzymkomplexen viele wichtige Medikamente, wie Antibiotika. Die große Auswahl an Produkten entsteht dabei weniger durch die Menge an Bausteinen, sondern durch die Vielfalt der NRPS selbst, die sich aus der Kombination ihrer Enzym-Untereinheiten ergibt. Jede NRPS-Variante kann jeweils andere Bausteine binden, aktivieren und miteinander verknüpfen.

Nach dem Baukastenprinzip neue Funktionen erschließen

Ein Team um Helge Bode am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg arbeitet daran, dieses Enzymsystem für die gezielte Wirkstoffproduktion im Labor zu nutzen. Nach der Herangehensweise der Synthetischen Biologie werden Teile der Enzyme und damit die funktionellen Eigenschaften ganzer Enzymkomplexe verändert (NRPS-Engineering), sodass Produkte mit neuen Eigenschaften entstehen.

Doch obwohl dieser Ansatz bereits seit einigen Jahren verfolgt wird, funktionierte er bisher noch nicht wie erhofft. „Wir sehen eine große Chance darin, von der Natur zu lernen. Wenn wir die natürlichen Prozesse verstehen, wissen wir, welche Bereiche des Enzyms sich am besten für das NRPS-Engineering eignen“, sagt Kenan Bozhüyük, einer der Erstautoren der Studie, die im Fachjournal „Science“ erschienen ist.

Gezielte Herstellung funktionsfähiger Enzym-Varianten

Um herauszufinden, welche Untereinheiten des Enzyms besonders gut miteinander zusammenarbeiten, konzentrierte sich das Team auf die Frage: an welchen Positionen setzt die Evolution selbst an, um neue „Fließbänder“ zusammenzubauen oder zu verändern, damit benötigte Wirkstoffe entstehen? Nach bioinformatischen Analysen und experimentellen Studien fand das Team einen neuen „Fusionspunkt“ für die gezielte Herstellung funktionsfähiger NRPS-Hybride. Mit seiner Hilfe konnten schließlich sogar NRPS-Sequenzen aus völlig unterschiedlichen Organismen wie Bakterien und Pilzen miteinander kombiniert werden.

Biologische Arzneimittel maßschneidern

Ihr neues Wissen überprüften die Forschenden dann in einem medizinischen Zusammenhang: Sie konstruierten ein neues, pharmakologisch aktives Peptid. Die breit angelegte Studie zeigt das große Potenzial der bakteriellen Naturstoffe als Grundlage neuer Medikamente. „Im Bereich der Synthetischen Biologie und der evolutionären Biochemie hat die Forschung in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht“, sagt Helge Bode. „Der Vorteil unseres Ansatzes ist, dass wir evolutionäre Prozesse nutzen, die sich über Millionen von Jahren bewährt haben. Unsere von der Evolution inspirierten Fusionsstellen sind vielseitiger und haben höhere Erfolgsraten.“

bb/pg